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Weekend Warriors
Tempo-Magazin, 48. Ausgabe, 6. - 12. August 2002
von Dale Mulholland
Das Endspiel um die
Fußballweltmeisterschaft ist vorbei und erledigt. In dem Finale,
das
bereits einen Monat zurückliegt, standen sich die beiden erfolgreichsten
Fußballnationen aller Zeiten gegenüber. Der interessanteste Umstand dieses
Spiels war, dass sich die beiden Mannschaften zuvor nie in einem offiziellen
Spiel begegnet waren. Kaum zu glauben: Brasilien und Deutschland waren in
ihrer Fußballvergangenheit vor diesem „Showdown” nie offiziell gegeneinander
angetreten. Dennoch, wir wurden von den erfolgreichsten europäischen und
südamerikanischen Nationalteams hervorragend unterhalten. Doch jetzt ist
wieder die Zeit gekommen, in die Realität unserer eigenen Welt- und
Europameisterschaften, in die wir eingebunden sind, zurückzukehren.
Millionen von Menschen rund um die Welt, die - wie wir
in Indonesien - auf unterschiedlichem Niveau in Amateurligen spielen, halten
ihre Spiele für genau so wichtig wie die, die um die höchste Krone spielen,
wie Deutschland und Brasilien. Und kein Spiel ist uns weniger wichtig als es
denjenigen an der Spitze des Fußballkönnens war, als sie im Finale um die
Weltmeisterschaft gegeneinander antraten. Wie wichtig jemandem ein Spiel
sein kann, mag an folgendem Beispiel deutlich werden:
Eines Tages in Jakarta. “Aye Dale… Gies us the feckin’
ball, ye coont!” schreit Carl Albillot, so laut, dass man fast Angst um
seine Lungen bekommen könnte. Carl ist Waliser und Kapitän der Wanderers,
eins von 11 Teams, aus denen die
Jakarta International Football League besteht. Und ich habe gerade mal
eine Ecke ausgeführt, mein Gott! Zwei Minuten später. Das gleiche Szenario.
Anstatt den Ball hoch in den Strafraum zu schlagen, um unseren langen Kerls
die Chance auf einen Kopfball zu geben, spielte ich ihm den Ball kurz zu.
Nicht dass ich dies für die bessere Alternative hielt, doch auf jeden Fall
die für mein Wohlbefinden sicherere.
In über 12 Jahren als Profi auf
der halben Erdkugel - Lokomotive Moskau (damals
höchste
Sowjetliga), Dukla Prag (Tschechische Erstliga), Sing Tao Tigers (Division
1, Hongkong), TSV Reichenbach (Deutschland), Miami und Orlando (USA); sowie
in ein paar anderen Ländern, darunter ein Kurzeinsatz bei Persija Timur
Jakarta in der höchsten indonesischen Spielklasse und letztes Glied in
meiner Profilaufbahn habe ich nie einen Spieler erlebt, der so fordernd und
kompromisslos nach dem Ball verlangt wie Carl an jenem Samstag, an dem wir
mit 4 – 3 gegen das japanische Team im Viertelfinale des Ligacups gewannen.
Die Intensität, die unsere Kerle
jeden Samstag erreichen (gekleidet in die Originaltrikots von Newcastle
United), ist stellvertretend für die Spiele der Expat-Mannschaften in
unserer Jakarta-Liga. Was uns an spielerischen Fähigkeit, Fitness und
Inspiration fehlt, machen wir wett mit Willen und Wollen. Um für den Leser
ein bisschen Farbe in die Liga zu bringen, muss man schon gut 30 Jahre
zurückgehen, bis in die späten 60er als die Deutschen, die sich jetzt German
Plus nennen, ihren Club gegründet haben und Woche für Woche indonesische
Teams herausforderten. Sie legten damit das Fundament, auf dem die heutige
Liga gebaut wurde. Die Spiele der
Jakarta International Football League
werden jedes Jahr zwischen
September und Juni ausgetragen, unabhängig von Regen oder Sonne, Finanzkrise
oder wirtschaftlicher Erholung, Aufstände oder Frieden, Wahlen oder keine
Wahlen. Nichts kann die Expats aufhalten, jahrein, jahraus. Was auch
passiert in Indonesien oder Südostasien: Jeden Samstag wird Fußball gespielt
– und das auf einem erstaunlich hohen Niveau, ohne finanzielle Interessen
und nicht weniger ernsthaft als der professionelle Fußball in vielen Ländern
dieser Erde.
Die heutige Struktur der Liga wurde durch das holländische Knuddde-Team im
Jahr 1993 geschaffen, das den Spielbetrieb ursprünglich auch organisierte.
Seitdem läuft die Liga Jahr für Jahr, getragen von einem Ligaausschuss, der
aus einem Vertreter jedes Teams besteht und monatlich zusammentrifft, um
alle Angelegenheiten zu regeln, von disziplinarischen Maßnahmen über
finanzielle Aspekte bis hin zum Einsatz lokaler Schiedsrichter. Die Saison
findet ihren Höhepunkt und Abschluss in einer Riesensause, bei der die Teams
ihre Schwerter bis zur nächsten Spielserie begraben – in einer Nacht des
Essens, Trinkens, Tanzens und des Spaßes für Familie und Freunde.
Die Liga besteht derzeit aus
folgenden Teams:
-
Wanderers (Heimplatz ist der internationale Sportclub
Jakartas ISCI), bei dem überwiegend Briten (Waliser, Iren, Schotten und
Engländer), aber auch ein Yankee wie ich, ein Kanadier, ein Australier,
ein Japaner und ein Holländer spielen.
-
Rovers (Heimplatz ISCI), auch als „Muppets” bezeichnet,
bei denen all die anderen Briten spielen, die die Wanderers nicht haben
wollen, dazu ein paar sonstige Fußlahme und 3 Russen.
-
German Plus (Heimplatz Panerub-Fabrik in Tangerang)
besteht überwiegend aus Deutschen, darunter solche der 2. Generation, in
Indonesien geboren Sprösslinge aus deutsch-indonesischen Ehen, die Söhne
der Vereinsgründer also, aber auch ein Schweizer, ein Belgier und ein
Amerikaner.
-
Knudde Orange (Heimplatz Cibubur) mit ihren
holländischen und indonesisch-holländischen Spielern.
-
Knudde White (auch in Cibubur beheimatet), das 2.
holländische Team, ähnlich strukturiert wie die
Wanderers/Rovers-Beziehungen.
-
Italien (Heimplatz Lebak Bulus-Stadion) oder besser
gesagt, eigentlich eine italienische Mannschaft, die sich jedoch nie zu
schade ist, in der Verfolgung des Erfolges Chilenen, Afrikaner und fähige
Spieler jedweder Couleur zu rekrutieren, darunter auch Profis, um den Sieg
zu sichern und die Liga zu gewinnen. Daneben zeichnet sie sich durch
hartnäckige Proteste gegen verlorene Spiele und durch gelegentliche
Faustkämpfe mit dem Gegner, aber auch schon mal untereinander, aus.
-
Korea (Heimplatz Cibubur), eine feiste Gang Koreaner,
die es hasst, zu verlieren, und die – wie die Italiener – rasch zum
Austeilen von Hieben oder einem Taekwondo-Tritt bereit ist.
-
Japan (Heimplatz Sentul) ist ein spielstarkes und
agiles Team, das in den vergangenen Jahren erhebliche Fortschritte gemacht
hat, nicht zuletzt motiviert durch die Co-Gastgeberrolle bei der letzten
Fußballweltmeisterschaft.
-
JIS (Heimplatz Jakarta International School) besteht
überwiegend aus Lehrern dieser Schule. Wahrlich das multikulturellste Team
mit allen möglichen Nationalitäten aus Nord- und Südamerika, Europa, Asien
und Australien, so etwas wie die Vereinten Nationen des Fußballs in
Jakarta, doch ohne deren ständiges Tauziehen und Manövrieren.
-
JJ’s Duit United (Heimplatz British International
School), ursprünglich gesponsert vom JJ’s Nachtclub und überwiegend aus
Briten zusammengesetzt, von denen viele an der Schule arbeiten, sowie ein
außergewöhnlicher Franzose mit einem enormen Torinstinkt.
-
Vikings (Heimplatz Lebak Bulus-Stadion), das
freundlichste und fairste Team der Liga, meistens Skandinavier mit ein
paar „Süd”-Europäern dazwischen. Eine Mannschaft von der man niemals
Diskussionen oder böse Worte hört.
Alle Spieler der Liga sind
Amateure, wobei einige eine Profi- oder Halbprofi-Karriere
hinter
sich haben. Der Altersspielraum ist enorm, manche zählen mal gerade 14 Jahre,
andere sind um die 60. Vor Krismon (Anm. der Redaktion: kurz für krisis
moneter = Asiatische Wirtschaftskrise), die Indonesien an den Rand des Ruins
brachte, spielten in der Liga auch Russen, Franzosen und Inder. Die Krise
und die Ereignisse, die dem Sturz des Soeharto-Regimes folgten, ließen viele
Ausländer das Land verlassen und mit ihnen gingen 3 Teams der Liga dahin.
Der harte Kern blieb zurück, was eine weitere Eigenschaft der Liga erklärt.
In der Regel schauen sich die Neuankömmlinge nach einem Team um, das am
besten zu ihrer Nationalität, Herkunft oder Blutsverwandtschaft passt. Doch
wenn dort nicht genug Fußball gespielt wird, um den Appetit des
Fußballverrückten zu stillen, findet er weitere Teams, die diesen Hunger
befriedigen können.
Eines dieser Teams ist die
Mannschaft des International Sports Club of Indonesia (ISCI), der in den
70er und 80er Jahren der Treffpunkt für ausländische Fußballbegeisterte. Mit
der Einführung der JIFL wurde das ISCI-Team so etwas wie
eine Allstar-Mannschaft der Liga, die regelmäßig Mannschaften der
indonesischen Profi-Divisionen II und III herausfordert, um auf einem etwas
höheren Niveau der Jagd nach dem Leder nachzugehen. Bedürfnis. Ein Anreiz
bei ISCI zu spielen, ist die Chance durch Asien zu reisen, um an verschieden
Turnieren teilzu-nehmen, darunter Singapur, Bangkok, Hongkong und Manila.
Doch das ISCI-Team reist auch durch Indonesien, um gegen ausgesuchte lokale
Teams anzutreten. Zu den Spielen kommen schon einmal 5.000 Zuschauer aus den
umliegenden Dörfern. Solche Tage werden zu einem Festival des Fußballs. Der
Bürgermeister hält eine Rede, Geschenke werden ausgetauscht, Grills
angeworfen und die Hühner rennen um ihr Leben. Die Dorfbewohner wählen den
beliebtesten Spieler und feuern ihn an, wenn er am Ball ist. Es sind
großartige Erlebnisse, die für alle mit unvergesslichen Erinnerungen
verbunden sind.
Pele, hat Fußball sei das „schöne
Spiel” genannt. Für mich ist Fußball schön, weil er uns so vieles bringt,
was mit dem Spiel als solches nichts zu tun hat. Einige Spieler der Liga
haben vor allem vor Augen, in Bewegung und fit zu bleiben. Andere suchen den
Wettbewerb außerhalb ihres täglichen Arbeitslebens und dem damit verbundenen
Stress. Wieder andere suchen die Kameraderie als Mitglied einer Mannschaft.
Ich persönlich habe mit dem
Fußball mein Zentrum in Jakarta gefunden. Ich habe damit etwas gefunden, was
meine Zeit in den vier langen Jahren zwischen den
Weltmeisterschaften
ausfüllt. Etwas das mir die Schmerzen der Sehnsucht nach Beendigung meiner
Profikarriere nimmt. Eine Karriere, die ich mit Herz und Seele geliebt und
für die ich mein ganzes Leben hart gearbeitet habe. Eine Karriere, die mit
Alter und Zeit dahin gegangen ist und niemals zurückkehren wird. Aber ich
habe meinen Platz für den Beginn einer noch ungewissen Zukunft gefunden. Ein
Platz des Übergangs (ausgenommen Carl’s Gebrüll), an dem ich immer noch
Momente alten Zaubers heraufbeschwören und einen Beitrag für mein Team
leisten kann. Ein Team, das nicht nur aus Mannschaftskameraden besteht,
sondern vor allem aus Freunden. Freunde, die das Leben in Jakarta lebenswert
machen und ein Grund sind, länger zu bleiben. Ich habe Freunde, Kameraden
und bunte Persönlichkeiten gefunden, die ich bis ans Ende meiner Tage nicht
vergessen werde.
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